Diskriminierungserfahrungen in Deutschland: Das äußere Erscheinungsbild ist klar ein Faktor

2016-04-19_Flyer_ADSDiskriminierte Gruppen, die nicht vom Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) erfasst werden, haben bisher wenig Möglichkeiten, sich zur Wehr zu setzen. Der rechtliche Weg über das AGG scheitert und Organisationen wie die GgG, die sich für die Rechte dicker Menschen stark machen, haben keinen Zugang zu den Fördermitteln, die an das Antidiskriminierungsgesetz gekoppelt sind.
Vor diesem Hintergrund kann die groß angelegte Bevölkerungsbefragung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes von 2015 ein Türöffner sein, weshalb wir im vergangenen Jahr mit der Aktion Deine Stimme hat Gewicht zur Teilnahme aufgerufen hatten.
Aus der Zusammenfassung der ersten Ergebnisse geht hervor, dass allein 8,2 Prozent der 1007 Teilnehmer*innen der telefonisch durchgeführten Repräsentativbefragung die Fragebogen-Option “Sonstiges” genutzt haben, um eine eigene Diskriminierungserfahrung anzuführen, die nicht Teil der im AGG aufgeführten Schutzgründe ist oder dem Faktor sozioökonomische Lage zugeordnet werden konnte. Das äußere Erscheinungsbild, unter dem Merkmale wie, Gewicht, Körpergröße und Tätowierungen vorerst zusammengefasst wurden, scheint in auffallender Häufigkeit angegeben worden zu sein, da es im Zwischenbericht bereits eine erste Erwähnung findet. Eine genaue Aufschlüsselung wird allerdings erst im Verlauf der weiteren Auswertung zur Verfügung stehen.
Die parallel durchgeführte Online-Befragung mit 18.162 Teilnehmer*innen, in der persönliche Diskriminierungserfahrungen geschildert werden konnten, unterstreicht die negativen psychischen Folgen einer als Diskriminierung wahrgenommenen Situation: 45,9 Prozent gaben an, dass es sie belastet hat, dass sie immer wieder an die als Diskriminierung empfundene Situation denken mussten, und 39,2 Prozent sagten von sich selbst, dass sie misstrauischer geworden sind. Ein Diskriminierungserleben kann folglich das Stresslevel sowohl deutlich als auch dauerhaft erhöhen und hat zersetzende Auswirkungen auf den sozialen Zusammenhalt. Die bisherige Auswertung der Betroffenenbefragung gibt noch keinen Hinweis darauf, in welchem Umfang hier unter “Anderes, und zwar …” Merkmale genannt wurden, die das äußere Erscheinungsbild betreffen.
[Update] Laut Tagesspiegel wird die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS) das Merkmal Gewicht gesondert betrachten und womöglich sogar in den Fokus rücken. “Weitere Kriterien müssen in das AGG aufgenommen werden.” so die Leiterin Christine Lüders, “Auch die Diskriminierung aufgrund der sozialen Herkunft sollte verboten werden. Über das Gewicht denken wir ebenfalls nach.”
Handout der Antidiskriminierungsstelle des Bundes
Diskriminierungserfahrungen in Deutschland
Erste Ergebnisse einer repräsentativen Erhebung und einer Betroffenenbefragung 

Zum Einfluss der Berichterstattung über dicke Menschen auf Gewichtsdiskriminierung

Vorbehalte gegen dicke Menschen sind abhängig von kulturellen und gesellschaftlichen Wertvorstellungen. In den USA haben SoziologInnen nun untersucht, wie die Berichterstattung über das Phänomen Dickleibigkeit die Wahrnehmung dicker Menschen beeinflusst. „Zum Einfluss der Berichterstattung über dicke Menschen auf Gewichtsdiskriminierung“ weiterlesen

Gewichtsdiskriminierung wird zum politischen Thema

Auf dem Bundesparteitag der SPD wurde beschlossen, Gewichtsdiskriminierung zum parteipolitischen Thema zu machen. Im Fokus stehen hierbei gemäß Beschluss Nr. 25 vom 11.12.2015 folgende Punkte:

  • Die Gleichstellung von dicken Menschen in der Berufswelt insbesondere in Bezug auf Verdienst und Verbeamtung.
  • Der Abbau von gesellschaftlichen Vorurteilen inklusive der Annahme, dass nur ein schlanker Körper ein gesunder Körper sein kann.
  • Die Bekämpfung des unerreichbaren Schönheitsideals und der Darstellung des menschlichen Körpers als zu bewertendes Objekt.
  • Eine Überarbeitung der von der WHO (Weltgesundheitsorganisation) festgelegten BMI-Bereiche zur Bestimmung von “Übergewicht” und “Untergewicht” auf Basis “realer Gegebenheiten”.

Damit ist das Thema Gewichtsdiskriminierung in der Politik angekommen. Wir sind gespannt, ob der Beschluss bereits 2016 erste Auswirkungen haben wird.
Beschluss Nr. 25 (PDF)

Erweiterung des Antidiskriminierungsgesetzes

Nehmen Sie teil an der Umfrage der Antidiskriminierungsstelle des Bundes!
Gewichtsdiskriminierung findet überall statt: auf der Straße, am Arbeitsplatz, in der Arztpraxis, in der Schule und sogar unter Freunden und in der Familie. Leider sind die Merkmale „Gewicht“ und „Körperform“ bisher nicht Bestandteil des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG). Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes (www.antidiskriminierungsstelle.de) versucht zurzeit, mit Hilfe einer Umfrage noch nicht ausreichend geschützte Gruppen ausfindig zu machen.
Machen Sie mit und teilen Sie unser Video! Setzen Sie mit Hilfe der Banner der Aktion ein Link auf unser Video. Die Umfrage läuft noch bis zum 30.11.2015.
Auf YouTube Video finden Sie das Video unter:
https://youtu.be/C7ZVSFLg0gQ

Die Zuckersteuer versüßt mal wieder das Sommerloch

Obwohl die Unterteilung von Lebensmitteln in gut und böse ein Nährboden für Essstörungen ist, uns den Genuss verleidet und sich nicht als Konzept für eine nachhaltige Gewichtsreduktion bewährt hat, fordern verschiedene Organisationen immer wieder dieses schwarz-weiß Denken sogar gesetzlich zu verankern. So wird in Großbritannien das Sommerloch erneut mit der Diskussion um eine  Zuckersteuer gestopft, die von der British Medical Association (BMA) gefordert wird. Die gesetzliche Abgabe soll für zuckerhaltige Getränke auf 20% angehoben werden. „Die Zuckersteuer versüßt mal wieder das Sommerloch“ weiterlesen

Gesetzesentwurf S.B.402: Ist ein hohes Gewicht eine chronische Krankheit?

In Nevada (USA) liegt aktuell ein Gesetzesentwurf vor, der fordert, ein hohes Körpergewicht (BMI über 30) zukünftig als chronische Krankheit zu behandeln und entsprechend zu bekämpfen. Ein hohes Körpergewicht wird hier allein als Körperform unabhängig von der objektiven körperlichen Leistungsfähigkeit / den Laborwerten und dem individuellen Wohlbefinden der Person auf eine Stufe mit chronischen Krankheiten wie Krebs gestellt. Zur Veranschaulichung: Eine Person von 1,60m Größe würde mit einem Gewicht von 78kg (BMI 30,4) bereits als chronisch krank gelten.
Die Bekämpfung soll unter anderem mit öffentlichkeitswirksamen Kampagnen erfolgen. Da diese Kampagnen in der Regel die Stigmatisierung eines hohen Körpergewichts und vorhandene Vorurteile verstärken, ist allerdings eher von einem gegenteiligen Effekt auszugehen. Beispiele für solche missglückten Kampagnen lassen sich auch in Deutschland finden:
“fit statt fett”
Die Kampagne von Ulla Schmidt (SPD) und Horst Seehofer (CSU) sollte 2007 dicke Kinder und Jugendliche für einen gesünderen Lebensstil begeistern – und diskriminierte sie, denn Fitness und eine hohes Gewicht schließen einander nicht aus.
Darüber hinaus soll jährlich ein Report erstellt werden, welche Kosten dem Staat durch hohes Körpergewicht entstehen. Die Diskriminierung aufgrund hohen Gewichts ist bereits Teil unseres Alltags, die Verfolgung könnte Teil unserer Zukunft werden.
Bitte unterstützen Sie die Petition der NAAFA. „Gesetzesentwurf S.B.402: Ist ein hohes Gewicht eine chronische Krankheit?“ weiterlesen

Mit Diäten zum Wahlerfolg?

Ein Artikel in der New York Times analysiert brilliant, wie Politiker weltweit Diäten als Wahlkampfargument entdecken. Während die Thematisierung des Körpergewichts bei Politikerinnen als sexistisch gilt, weil sie damit auf ihr Äußeres reduziert werden (Ausnahmen sind Politikerinnen, deren Gewicht offensichtlich über der Norm liegt, wie etwa bei der belgischen Gesundheitsministerin Maggie de Block), zeigt der Artikel, wie Politiker versuchen mit öffentlich zelebrierten Diäten beim Wahlvolk zu punkten. „Mit Diäten zum Wahlerfolg?“ weiterlesen

Gesetz gegen schlanke Models in Frankreich

Das französische Abgeordnetenhaus hat ein Gesetz verabschiedet, das es künftig unter Strafe stellt, wenn Models unterhalb eines bestimmten BMIs (der genaue Wert steht noch nicht fest) auf dem Laufsteg auftreten. Ähnliche Bestimmungen gibt es bereits in Spanien, Italien und Israel. Doch der französische Gesetzentwurf geht noch weiter. So werden nicht nur Bußgelder angedroht, sondern es können auch bis zu sechs Monate Haft für den Verstoß gegen die neuen Regeln verhängt werden. Zudem soll die “Anstiftung zur Magersucht”  mit einem Jahr Gefängnis und 10 000 Euro Geldstrafe geahndet werden. Ebenfalls unter der Androhung von Geldstrafen müssen Anzeigen, in denen Fotos von Models zu sehen sind, die nachträglich mit Bildbearbeitungsprogrammen verändert wurden, entsprechend gekennzeichnet werden.
„Gesetz gegen schlanke Models in Frankreich“ weiterlesen

Gesundheitspolitik auf mexikanisch

Knapp zwei Jahrzehnte nachdem die Weltgesundheitsorganisation WHO offiziell ein hohes Körpergewicht zur Epidemie erklärt hat, gilt nicht länger die USA als Hotspot der neuen „Gesundheitskatastrophe“, sondern ihr südlicher Nachbar. Mittlerweile reagiert die mexikanische Regierung auf das Phänomen mit einer Reihe von Maßnahmen, die international Aufsehen erregen. Dazu zählen unter anderem: Eine Steuer auf Softdrinks und hochkalorische Nahrungsmittel und in der Hauptstadt Mexiko-City Fitness-Automaten an Busstationen. Wer es schafft, an diesen Geräten zehn Kniebeugen zu machen, bekommt einen Schrittzähler geschenkt – finanziert wird dieser von einem Getränkehersteller, dessen Produkte als maßgeblich verantwortlich für die Gewichtszunahme angesehen werden. Ursprünglich war geplant, die Automaten in U-Bahnstationen zu integrieren. Als Preis für herausragenden Körperfleiß war ein Freiticket vorgesehen. Doch in der Metro ließen sich die Geräte aus logistischen Gründen bislang nicht aufstellen.
Die Reaktion der mexikanischen Regierung auf das steigende Körpergewicht der Bevölkerung ist beispielhaft für eine konsequente Quantifizierung und Individualisierung von Gesundheit wie sie sich in allen Staaten, die das Körpergewicht der Bevölkerung zum Problem erklärt haben, so oder so ähnlich wiederfinden. Zum einen setzt sie Gesundheit und Körpergewicht in eins: Die gesundheitlichen Probleme weiter Bevölkerungsteile werden auf ihr Körpergewicht zurückgeführt, die Lösung der gesundheitlichen Probleme liegt allein in einer Reduktion des Körpergewichts. Zum anderen individualisiert sie die Verantwortung für das Erreichen eines niedrigen Körpergewichts. „Gesundheitspolitik auf mexikanisch“ weiterlesen