“Medizinische Forschung unterliegt ethischen Standards, die die Achtung vor den Menschen fördern und sicherstellen und ihre Gesundheit und Rechte schützen.” so hat es der Weltärztebund (WMA) in §7 der Deklaration von Helsinki “Ethische Grundsätze für die medizinische Forschung am Menschen” festgelegt. Dieser Grundsatz legt nahe, dass medizinische Forschung mit dem Ziel oder dem vorhersehbaren Effekt der Diskriminierung als unethisch zu betrachten ist. Leider stellt dieser Grundsatz für andere an der medizinischen Forschung Beteiligte nur eine Anregung dar. Eine Anregung, die von der Southern Illinois University Edwardsville und der Cornell University offensichtlich als zu vernachlässigen eingestuft wurde.
So befasste sich Anfang des Jahres ein Forscherteam mit der Frage, ob die Anwesenheit einer hochgewichtigen Person das Essverhalten von (aus medizinischer Sicht) normalgewichtigen Personen negativ beeinflusst und ob das Essverhalten der hochgewichtigen Person hierbei eine Rolle spielt. „Gewichtsdiskriminierung im Namen der Prävention“ weiterlesen
Diäten gefährden Ihre Gesundheit – Fangen Sie gar nicht erst damit an
Wer immer noch nicht glauben möchte, dass Diäten bestenfalls schlechte Laune verbreiten, schlimmstenfalls aber krank machen, der oder die kann hier die neuesten Erkenntnisse der wissenschaftlichen Forschung dazu nachlesen.
Ein hohes Gewicht verbessert die Überlebenschancen bei Sepsis
Adipositas gilt im Gesundheitswesen als “Staatsfeind Nummer 1”. Begründet wird dies gern mit einer durch das hohe Gewicht verkürzten Lebenserwartung. Wie wenig haltbar dieses Argument ist, zeigte bereits die 1994 veröffentlichte Düsseldorf Obesity Mortality Study (DOMS), bei der mehr als 6000 PatientInnen mit einem BMI von 25 (Praeadipositas) bis 74,4 (Adipositas Grad III) 30 Jahre lang begleitet wurden. Es stellte sich heraus, dass Geschlecht und Alter einen wesentlich größeren Einfluss auf die Sterblichkeit hatten als das Gewicht. Für die gesundheitliche Verdammung des dicken Körpers in der Form, wie sie derzeit betrieben wird, gibt es damit keine wissenschaftliche Grundlage. „Ein hohes Gewicht verbessert die Überlebenschancen bei Sepsis“ weiterlesen
Hohes Körpergewicht führt zu Gehaltsverlust – allerdings nur bei Frauen
Eine Untersuchung des Instituts zur Zukunft der Arbeit hat herausgefunden, dass Frauen mit höherem Körpergewicht in Deutschland weniger verdienen als Frauen mit niedrigem Körpergewicht und gleicher Qualifikation. Selbst Frauen mit Normalgewicht würden schlechter bezahlt als Frauen mit noch niedrigerem Körpergewicht. „Hohes Körpergewicht führt zu Gehaltsverlust – allerdings nur bei Frauen“ weiterlesen
Bild der wissenschaft "Möglicher Dickmacher: Mollige Raumtemperatur"
Der Mensch ist kein wechselwarmes Säugetier, sein Körper versucht normaler Weise eine Temperatur von 36 bis 37,5 °C zu halten. Wenn die Außentemperatur stark fällt, geschieht dies zum Beispiel über Muskelzittern. Für das Halten der Körpertemperatur werden dann zusätzliche Kalorien verbraucht. Nun hat die Wissenschaft diesen Fakt auch im Kontext der Gewichtsreduktion aufgegriffen. „Bild der wissenschaft "Möglicher Dickmacher: Mollige Raumtemperatur"“ weiterlesen
"Stigmatization of obese individuals by human resource professionals: an experimental study"
Personaler behaupten von sich, sie wollten nur die besten für ihr Unternehmen. Äußerlichkeiten spielten keine Rolle. Eine experimentelle Studie der Uni Tübingen hat zum ersten Mal für Deutschland gezeigt, was in den USA schon längst bekannt war. Dicke Bewerber haben schlechte Karten, besonders dann, wenn es um die Besetzung höherer Positionen geht. Frauen sind von dieser Form der Diskriminierung besonders betroffen. „"Stigmatization of obese individuals by human resource professionals: an experimental study"“ weiterlesen
"Gefühltes oder tatsächliches Übergewicht: Worunter leiden Jugendliche mehr?"
Laut der Studie der Robert Koch Mitarbeiterinnen Bärbel Maria Kurth und Ute Ellert leiden Jugendliche in Deutschland stärker unter dem gefühlten als dem tatsächlichen Körpergewicht. Jugendliche, die nach den offiziellen Grenzwerten als normalgewichtig gelten haben der Studie zufolge eine geringere Lebensqualität als Jugendliche, die zwar nach den offiziellen Grenzwerten als “zu dick” gelten, aber sich grundsätzlich ganz wohl in ihrer Haut fühlen. Vor dem Hintergrund dieser Ergebnisse scheint eine Politik der ”Aufklärung” dicker Kinder, Jugendlicher und Familien über die “gesundheitlichen Gefahren” besonders fragwürdig. „"Gefühltes oder tatsächliches Übergewicht: Worunter leiden Jugendliche mehr?"“ weiterlesen
Weitere Wissenschaftliche Studien zu Gewichtsdiskriminierung
Brownell KD, Puhl RM, Schwartz MB, Rudd L (Eds) (2005). Weight Bias: Nature, consequences, and remedies. New York: Guilford Press.
Giel et al. (2012). Stigmatization of obese individuals by human resource professionals: an experimental study. In: BMC Public Health Jul 16;12: 525.
Hilbert A, Rief W, Brähler E (2008). Stigmatizing attitudes towards obesity in a representative population-based sample: Prevalence and psychosocial determinants? Obesity; 16: 1529-1534
Hilbert A. (2008). Soziale und psychosoziale Auswirkungen der Adipositas: Stigmatisierung und soziale Diskriminierung. In: Herpertz S, de Zwaan M, Zipfel S (Hrsg.), Handbuch der Essstörungen und Adipositas. Berlin: Springer; 288-291.
Hilbert A, Ried J (2009). Obesity in print: An analysis of German newspapers. Obes Facts; 2: 46-51.
Hilbert A, Geiser M (2012). Stigmatisierung von Adipositas: Implikationen für die Kommunikation mit adipösen Patienten. In: Lewandowski K, Bein T (Hrsg.), Adipositas in Anästhesie, Intensiv- und Notfallmedizin. Berlin: Medizinisch-Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft; 71-77.
Kurth, B-M/Ellert, U. (2008). Gefühltes oder tatsächliches Übergewicht: Worunter leiden Jugendliche mehr? In: Dtsch Arztebl 105(23): 406-12.
Puhl RM, Brownell KD (2001). Bias, discrimination, and obesity. Obes Res; 9: 788-805.
Puhl RM , Brownell KD (2003). Psychosocial origins of obesity stigma: toward changing a powerful and pervasive bias. Obes Rev; 4: 213-227.
Puhl RM, Brownell KD (2006). Confronting and coping with weight stigma: An investigation of overweight and obese adults. Obesity; 14: 1802-1815.
Puhl RM, Moss-Racusin CA, Schwartz MB (2007). Internalization of weight bias: implications for binge eating and emotional well-being. Obesity; 15: 19-23.
Puhl RM , Latner JD (2007). Stigma, obesity, and the health of the nations’s children. Psychol Bull; 133: 557-580.
Puhl RM, Heuer CA (2009). The stigma of obesity: A review and update. Obesity; 17: 941-964.
Puhl, R/Luedicke, J/Heuer, C (2011). Weight-based victimization toward overweight adolescents: observations and reactions of peers. In: Journal of School Health 81(11): 696-703.
Fat Studies
Mit Fat Studies etabliert sich seit einigen Jahren in den USA, Großbritannien und Australien eine akademische Beschäftigung mit Fragen der Wahrnehmung und des Umgangs mit dicken Menschen, unabhängig von medizinischen und psychologischen Fragen nach Ursachen und Folgen eines erhöhten Körpergewichts. Fat Studies untersuchen die gesellschaftliche Wahrnehmung und Behandlung dicker Körper mit dem Ziel, die vorherrschenden Deutungsmuster und Behandlungsweisen von Dickleibigkeit zu kritisieren und die Gleichberechtigung dicker Körper als Teil der gesellschaftlichen Diversität zu erreichen. Fat Studies knüpfen dabei an die Tradition anderer diskriminierter Gruppen an, die sich gegen ihre Diskriminierung, Pathologisierung und Kriminalisierung zur Wehr gesetzt haben und die diese Auseinandersetzung erfolgreich auch auf dem Feld der Sozialwissenschaften geführt haben. Viele dieser Disziplinen, die ursprünglich einmal aus Sozialen Bewegungen hervorgegangen sind, sind heute fester Bestandteil des akademischen Fächerkanons. Vorbilder sind unter anderem die Disability, die Gender und die Queer Studies.
Mittlerweile gibt es ein wissenschaftliches Fat Studies Journal und den Fat Studies Reader.
SWR 2 Forum am 30.07.2013 – "Fauler Fettsack – Warum werden Dicke stigmatisiert?"
“Fauler Fettsack – Warum werden Dicke stigmatisiert?” Zu dieser Frage diskutierten im SWR 2 Forum Eva Barlösius, Robert Jütte und Friedrich Schorb