Körpergewicht muss als Diskriminierungsmerkmal ausdrücklich im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz genannt werden

Berlin, 27.07.2023 | Schutzlücken schließen, Merkmalskatalog erweitern, Klagemöglichkeiten für Betroffene vereinfachen: unter diesem Motto hat die Unabhängige Bundesbeauftragte für Antidiskriminierung, Ferda Ataman, vor einer Woche ihr Grundlagenpapier zur AGG-Reform vorgelegt.  Keinen Tag später begegnete ihr schon ein wahrer Shitstorm an unsachlicher Kritik: Das Papier sei „gesellschaftlicher Sprengstoff“, sagte Kathrin Helling-Plahr, die rechtspolitische Sprecherin der FDP, und würde „künftig Missbrauch, Falschbeschuldigungen und Erpressungen fördern, statt echten Fällen von Diskriminierung entgegenzuwirken“; ihr Kollege von der CDU/CSU tat es ihr nach, indem er das Papier als „absurd“ bezeichnete und Menschen, die sich gegen Diskriminierungen zu wehren versuchen, als Goldgräber*innen verunglimpfte, die Diskriminierungen nur erfänden, um Profit daraus zu schlagen.

Betrachtet man das Papier aus der Sicht eines Verbands, der mit der Beratung und Unterstützung von Betroffenen befasst ist, ist eine solche Sichtweise kaum nachvollziehbar: Deutschland hat europaweit und – verglichen mit den westlichen Industrieländern – sogar weltweit eines der schwächsten Antidiskriminierungsgesetze, mit einem unvergleichlich kurzen Merkmalskatalog, einer lächerlich kurzen Geltendmachungsfrist von nur zwei Monaten (die gewöhnliche Verjährungsfrist für zivilrechtliche Ansprüche beträgt drei Jahre!) und einer auffallend schwachen
Stellung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes im Vergleich zu anderen nationalen Antidiskriminierungsstellen. Es gibt für Betroffene von Diskriminierung keine Prozessstandschaft, durch die sie von Antidiskriminierungsverbänden unterstützt werden könnten, und kein Verbands-klagerecht.  Die Entschädigungssummen, die das AGG in Aussicht stellt, sind derart gering, dass das Prozessrisiko für Klagende kaum im Verhältnis steht. Dass die Parteien rechts der Mitte neben Verbesserungen in den o.g. Bereichen nun auch noch die geplante Beweislasterleichterung kritisieren, mutet geradezu grotesk an: Sie ist kein absurdes linkes Hirngespinst, sondern von EU-Gleichbehandlungsrichtlinien vorgegeben und somit unausweichlich.

Wenn man an Atamans Papier etwas kritisieren möchte, dann ist das der einseitige Fokus bei der Erweiterung des Merkmalskatalogs: Schutzlücken im Merkmalskatalog nur durch die Einfügung von „Staatsangehörigkeit“, „sozialer Status“ und „familiäre Fürsorgeverantwortung“ schließen zu wollen, wirft Fragen auf: Warum ausgerechnet diese und nicht zusätzlich andere Merkmale, wenn sie einigen Grundkriterien entsprechen: Dass es sich beispielsweise um ein soziale Hierarchisierungen begründendes Merkmal handelt; dass es nachweisbare Auswirkungen auf Lebenschancen hat; dass es mit einem erheblichen Stigma behaftet ist und dass dieses Stigma eine gewisse Geschichte hat; und dass zumindest ein Mindestanteil der Bevölkerung davon betroffen ist.

All dies trifft in besonderem Maße auf das Stigma Hochgewicht zu: Gewichtsdiskriminierung ist nach allen größeren Studien der letzten Jahre mit einem Anteil von 46-51% an den erfassten Diskriminierungserfahrungen eine der häufigsten Diskriminierungsformen in Deutschland. 78% der Bevölkerung haben stigmatisierende Einstellungen gegenüber hochgewichtigen Menschen, sehen Hochgewicht als Eigenverschulden an und verbinden es mit einer Reihe negativer Eigenschaften. Dennoch versuchen sich von Gewichtsdiskriminierung Betroffene bislang nur selten gegen die Diskriminierung zu wehren, da das Stigma oft internalisiert wird und schambehaftet ist. 

Hochgewicht wird nach der bisherigen Rechtsprechung nicht oder nur in seltenen Fällen von den Merkmalen „Behinderung“ oder „chronische Erkrankung“ umfasst. Die allermeisten Hochgewichtigen betrachten sich selbst auch nicht als behindert und würden durch diese erzwungene Selbstzuschreibung quasi entmündigt. Zwar beschreibt die anerkannte Medizinforschung Hochgewicht einhellig als willentlich kaum zu beeinflussen. Allen Hochgewichtigen – unabhängig von ihrem Gewicht und Gesundheitszustand – eine chronische Erkrankung zu attestieren jedoch suggeriert einen vermeintlichen Automatismus und stellt eine unzulässige Pathologisierung hochgewichtiger Körper dar.

Das Merkmal „Körpergewicht“ muss daher – ggf. auch als Regelbeispiel für ein Merkmal „körperliches Erscheinungsbild“ – ausdrücklich im Gesetzestext genannt werden: Dies sendet ein Signal an Betroffene, sorgt für eine Verbreitung des Wissens über die Mechanismen von Gewichtsdiskriminierung in Verwaltung und Gerichten und bildet die Grundlage für eine entsprechende Beratungskompetenz in Antidiskriminierungsberatungsstellen. Hochgewicht trotz seiner engen Nähe zum von Art. 3 III S. 2 GG geschützten Merkmal Behinderung rechtlich vollkommen schutzlos zu lassen, ist nicht nur inkonsequent angesichts der Historie, die das Merkmal hat, der sozialen Hierarchisierungskraft, die es entfaltet, und der gesellschaftlichen Unterdrückung, die hochgewichtige Menschen tagtäglich erfahren.

Wir fordern daher: „Körpergewicht“ als zu schützendes Diskriminierungsmerkmal in § 1 AGG aufnehmen!

Stellungnahme der GgG als PDF
Foto Cover Grundlagenpapier © Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS)

Nachruf Cat Jeffrey Pausé 1979-2022

„Hi doll, how are you?” – So begannen viele ihrer Emails, und sie endeten stets mit ein paar Küsschen und „fetten Grüßen“. Cat Pausé schickte Postkarten mit bunten Briefmarken und inspirierenden Worten von Neuseeland aus in die ganze Welt; oft lag auch ein kleines Geschenk ihren Sendungen bei. Ihre Großzügigkeit, Warmherzigkeit und Zugewandtheit waren legendär; sie finanzierte die Reisekosten von Studierenden zu internationalen Konferenzen; sie nahm sich Zeit für Gespräche, die in ihrer Zeitzone mitten in der Nacht lagen; sie half anderen Forscher*innen beim Schreiben und Strukturieren ihrer Ideen und förderte Nachwuchswissenschaftler*innen, wo es nur möglich war.

Cat Pausé lehrte und forschte im Bereich Fat Studies/Soziologie/Public Health. Nach ihrem Studium in Soziologie an der Tech University Texas machte sie dort 2007 ihren Dr. phil. mit einer Arbeit über Identität und Gewicht bei hochgewichtigen Frauen; seit 2008 arbeitete die US-Amerikanerin im Fachbereich Pädagogik der Massey University, Palmerston, Neuseeland. 2017 kam eine weitere Qualifikation in Public Health dazu. Ihre Publikationsliste ist umfangreich ebenso wie die Liste ihrer Vorträge und öffentlichen Auftritte.

Cat war eine begabte Kommunikatorin, deren ungewöhnliche Fähigkeit, mit Dutzenden von Menschen weltweit regelmäßigen, herzlichen Kontakt zu halten, zu einem weltweit umspannenden Netzwerk von Dickenaktivist*innen und Fat-Studies-Forschenden beigetragen hat. 2017 bereiste sie im Rahmen eines Forschungsaufenthalts Europa und nahm dort systematisch Kontakt zu allen in Europa ansässigen Dickenaktivist*innen auf. Ihr Netzwerk ging aber weit über Europa, die USA und Neuseeland hinaus. Für ihren Podcast und ihre Radio-Show „Friend of Marilyn“, in dessen Titel sie auf die Dickenaktivismus-Ikone Marilyn Wann Bezug nahm, interviewte sie Aktivist*innen in allen Teilen der Welt. Sie organisierte drei große, einflussreiche internationale Tagungen im Bereich Fat Studies, die Forschende weltweit zusammenbrachte. Die dritte sollte im Juli 2022 stattfinden. Das von ihr zusammen mit Sonya Reneé Taylor herausgegebene International Handbook of Fat Studies (2021) vereint Forschende aus diversen Ländern und repräsentiert verschiedenste Disziplinen. Ihre Online-Vorlesungsreihe „Fat Studies MOOO“ versammelte eine ungewöhnliche Vielfalt an Aspekten und Hintergründen.

So leistete sie einen erheblichen Beitrag dazu, dass Fat Studies keine Disziplin bleibt, die auf die englischsprachigen Länder beschränkt ist.

Wir kannten sie persönlich, sie lebte 2017 im Rahmen ihres Forschungsaufenthalts einige Monate in Berlin, wo sie die Berliner Aktivist*innen-Szene („my dear Berlin fatties“) mit Karaoke-Abenden und Auftritten u.a. bei der von queeren Aktivist*innen organisierten „Fat Party“ aufmischte. Sie hatte einen unverwechselbaren Style und das Talent, mit Menschen verschiedenster Hintergründe sofort einen warmherzigen Kontakt aufzunehmen. Sie war modebewusst, politisch und kommunikativ klug, charmant, wahnsinnig gutaussehend.

Gleichzeitig – und das zeigte sich sofort, wenn man mit ihr arbeitete – war sie diszipliniert und hochprofessionell. Sie arbeitete Tag und Nacht, nahm keine Rücksicht auf sich, wenn eine Online-Veranstaltung in einer für sie ungünstigen Zeitzone lag und sie um 3 Uhr morgens einen Vortrag halten musste. Sie organisierte rasend schnell, mobilisierte Menschen für die verschiedensten Projekte. Ihre eigenen Beiträge gab sie überpünktlich ab und war sich für keinen Vortrag, sei er noch so entlegen, zu schade. Lud man sie zu irgendetwas ein, war sie dabei. Trotz dieser enormen Arbeitsbelastung blieb sie stets freundlich zugewandt, voller Witz und Charme.

In der Erinnerung unserer Freundschaft und Zusammenarbeit bleibt auch, wie sie private und berufliche Sphären trennte: Ging es in einer Mail um eine Zusammenarbeit an einem Buch oder Artikel, wählte sie eine höfliche, aber formelle Anrede und einen eher kühlen Schluss. Im selben Atemzug konnte sie einem aber eine private Mail schicken, die mit „Hi doll“ begann und mit „XoXoXo“ endete.

Cat wird in Erinnerung bleiben als eine von Leben sprühende Wissenschaftlerin und Aktivistin, die das einzigartige Talent besaß, Menschen zusammenzubringen und aus den Fat Studies in den USA eine weltweite Bewegung zu machen. Cat Pausé starb in der Nacht des 26. März 2022 plötzlich im Schlaf. Wir vermissen sie und werden sie nie vergessen.

Superdünn und trotzdem „fett“?

Cellulite-hautKein Problem, denn die neueste Neurose unter dünnen Frauen ist die Angst davor, „skinny fat“ zu sein. Wie man es anstellt, gleichzeitig sehr schlank zu sein und sich immer noch fett zu fühlen, zeigt zum Beispiel der Schweizer „Tagesanzeiger“: „Skinny fat“, ein Begriff aus dem englischsprachigen Raum, bezeichne „Menschen, die zwar, wenn sie bekleidet sind, schlank wirken, jedoch einen relativ hohen Fettanteil und einen geringen Anteil an Muskelmasse haben.“ „Superdünn und trotzdem „fett“?“ weiterlesen

Plus-Size oder nicht Plus-Size?

Amy Shumer 2011 (Bild: Mario Santor)
Amy Shumer 2011 (Bild: Mario Santor)

Das ist die Frage, die sich die aufgeregte Öffentlichkeit stellt, seit sich die US-amerikanische Comedienne und Schauspielerin Amy Shumer Anfang April in ihrem Instagram-Account über ihren Namen auf dem Cover eines neu erschienenen Plus-Size-Magazins echauffierte: „Plus Size bedeutet in Amerika Größe 44. Ich bin Größe 38 bis 40. […] Sollen junge Mädchen, die meinen Körpertyp sehen, denken, das sei ‚Plus Size‘? Was denkt ihr? Ich finde das nicht cool und ‚Glamour‘ nicht glamourös.“
Eine Woche später stellte sie in einem Auftritt in der „Tonight Show“ klar: „Ich liebe das Glamour Magazin, die waren immer sehr nett zu mir. Die haben viele gute Dinge für Frauen getan. Aber nach meiner Erfahrung mögen es die Leute nicht, wenn man sie als ‚Plus Size‘ klassifiziert. Wir brauchen diese Etiketten nicht. Wir brauchen sie nicht.“ „Plus-Size oder nicht Plus-Size?“ weiterlesen