Diskriminierung, aber mit Smiley

Tweet des GKV-Spitzenverbandes vom 17. Juni 2018

Die Antidiskriminierungsverbände Netzwerk Artikel 3 und Gesellschaft gegen Gewichtsdiskriminierung kritisieren die Twitter-Aktion des GKV-Spitzenverbands zum diesjährigen World Emoji Day als diskriminierend. Dieser hatte am 17.7. anlässlich des inoffiziellen Feiertages Emojis für verschiedene Gesundheitszustände vergeben. Parkinson wurde zur winkenden Hand, die einseitige Lähmung zum schmunzelnden Smiley, Impotenz zu einem nach unten zeigenden Da men und Adipositas zu einem Schweinchen. Betroffene und Antidiskriminierungsorganisationen kritisieren die Aktion als unsensibel und stigmatisierend.

Im Zentrum der Kritik steht dabei, dass durch die Aktion Krankheitsbilder ins Lächerliche gezogen und einseitige Stereotype wiederholt werden: So kann eine Leberzirrhose auf ganz unterschiedlichen Ursachen beruhen, unter anderem einer chronischen Virushepatitis. Die Repräsentation der Erkran- kung durch alkoholische Getränke – wie in der GKV-Aktion geschehen – verstärken jedoch das in der Bevölkerung ohnehin schon vorherrschende stigmatisierende Bild, dass die Betroffenen doch eigentlich selbst schuld an ihrer Erkrankung seien.
Die Wahl eines Schweins zur Darstellung von Adipositas verdeutlicht, in wie hohem Maße der “Witz” dabei auf Kosten der Betroffenen ging. „Dass dicke Menschen sich ausgerechnet vom Spitzenver- band der gesetzlichen Krankenkassen als fette Sau bezeichnen lassen müssen, ist erschreckend. Wir wehren uns gegen diese Form von Entmenschlichung,“ so Natalie Rosenke, Vorsitzende der Gesell- schaft gegen Gewichtsdiskriminierung. Bei der Darstellung dicker Menschen als Schwein schwinge auch das Vorurteil mit, dicke Menschen seien maßlos, verfressen und impulsiv.

Der Dritte Bericht der Antidiskriminierungsstelle des Bundes zeigt: Diese Sicht auf dicke Menschen ist nicht ungewöhnlich im Gesundheitswesen. Das Risiko, im Bereich Gesundheitswesen anhand des Gewichts diskriminiert zu werden, ist ausgesprochen hoch. Menschen mit einer Behinderung oder psychischen Erkrankung erfahren hier ebenfalls auffallend häufig Diskriminierungen. Sie werden viel- fach nicht ernst genommen, und ihre individuellen Bedürfnisse bleiben allzu oft unberücksichtigt.

Der GKV-Spitzenverband hat sich inzwischen für den Tweet entschuldigt, doch Fragen bleiben: Wie kann es sein, dass ausgerechnet die Interessenvertretung der gesetzlichen Kranken- und Pflegekas- sen in Deutschland einen Beitrag dazu leistet, die Diskriminierung dicker Menschen weiter zu ver- schärfen? Natalie Rosenke stellt klar: „Von einem Spitzenverband wie dem der gesetzlichen Kran- kenversicherungen, die für die Gesundheitsversorgung der Mehrzahl der deutschen Bevölkerung zuständig sind, erwarten wir als Gesellschaft gegen Gewichtsdiskriminierung, dass er es als seine Aufgabe begreift, diskriminierende Stereotype abzubauen statt sie noch zu befördern“.

Pressemitteilung als PDF

Wenn die Pulsuhr die Abschlussnote bestimmt

Wer mit Besorgnis den Trend der Selbstoptimierung durch Apps und die Bezuschussung von Produkten wie der Apple Watch durch Krankenkassen verfolgt, wird sich in seiner Skepsis bestätigt fühlen: An der Oral Roberts University (USA) ist die Pulsuhr Pflicht und zum Zünglein an der Waage für den Erfolg geworden. Wer nicht jeden Tag 10.000 Schritte und insgesamt 150 Minuten Bewegung pro Woche erbringt, muss mit einer bis zu 20 Prozent schlechteren Note rechnen.
SPON Artikel
Armband-Zwang an US-Uni: “Bewegung macht 20 Prozent der Note aus”

Wer dick bleibt, muss zahlen – Klassenkampf von oben im Namen des Schlankheitswahns

Im Bundesstaat Mississippi sollte ein Gesetz erlassen werden, das Versicherten der staatlichen Krankenkasse medicare –  also Rentnerinnen und Rentner, die sich keine private Versicherung leisten können sowie Menschen mit attestierter Arbeitsunfähigkeit –  verpflichten sollte, Abnehmprogramme zu absolvieren und dabei Gewicht zu verlieren. Andernfalls drohten erhöhte Zuzahlungen für Behandlungen und Medikamente. Die Proteste gegen den Gesetzentwurf waren erfolgreich. Das Vorhaben wurde gestoppt.

In Puerto Rico sollen derweil Eltern verpflichtet werden, ihre Kinder zur Gewichtsabnahme zu nötigen. Andernfalls drohen Strafen zwischen 500 und 800 Dollar. Auf einer Insel, auf der 56 Prozent der Kinder in Armut aufwachsen, ist das viel Geld. Schlimmer noch: Die Eltern der dicken Kinder, denen es nicht gelingt abzunehmen werden in dem Gesetzentwurf als „child abuser“, also als Kindesmisshandler bezeichnet.

In Großbritannien hat Premier David Cameron die Forderung aufgestellt, den ca. 100.000 Menschen, die Sozialleistungen aufgrund attestierter Arbeitsunfähigkeit erhalten und adipös, alkoholkrank oder drogenabhängig sind, die Bezüge zu kürzen, wenn sie sich nicht dem für sie vorgesehenen Therapieplan folgen können. Wörtlich sagt er: “Manche haben Drogen- oder Alkoholprobleme, lehnen eine Behandlung aber ab. In anderen Fällen haben die Leute Gewichtsprobleme, die man angehen könnte, aber stattdessen fällt die Wahl auf ein Leben von Sozialhilfe anstelle von Arbeit. In seiner Rede machte Cameron damit zum einen deutlich, dass er dicke Menschen prinzipiell für essgestört hält, da er die Behandlung eines hohen Gewichts mit der von Suchtkrankheiten gleichsetzte. Zum anderen betonte Cameron, dass er die hart arbeitenden Engländerinnnen und Engländer nicht länger für die disziplinlosen Taugenichtse zahlen lassen möchte. Das hatte er so ähnlich schon in seiner Auftaktrede für den Wahlkampf 2008 angekündigt. Darin hieß es wörtlich: »Wir reden hier von Leuten, die von Adipositas bedroht sind, nicht von Leuten, die zu viel essen und sich zu wenig bewegen. Wir reden hier über Leute, die von Armut oder sozialem Ausschluss betroffen sind, als seien Dinge wie Übergewicht, Alkoholmissbrauch und Drogensucht äußerliche Phänomene wie das Wetter oder die Pest.«

„Wer dick bleibt, muss zahlen – Klassenkampf von oben im Namen des Schlankheitswahns“ weiterlesen