“XXL – aktiv sein und Stärke zeigen”, so nennt sich ein Angebot der Grone Schule, das dicken Menschen den Wiedereinstieg ins Berufsleben erleichtern soll – allerdings nur, wenn Sie auch bereit sind Ihr Gewicht zu reduzieren (siehe Screenshot von der Website).
Wahre Stärke zeigt hier aus unserer Sicht, wer das Angebot, für das die Bundesagentur für Arbeit sogar die Kosten übernehmen würde, aufgrund dieser offensichtlichen Diskriminierung nicht annimmt.
Wir haben die Grone Netzwerk Hamburg GmbH auf die Defizite des Angebots in einem Protestbrief hingewiesen und hoffen, dass die Grone Schule unseren Empfehlungen folgt, damit ein Angebot entsteht, das dicken Menschen auf dem Weg zurück in den Beruf tatsächlich unterstützt.
Lesen Sie hier den Protestbrief der Gesellschaft gegen Gewichtsdiskriminierung online.
Sehr geehrte Damen und Herren der Grone Netzwerk Hamburg GmbH,
wir bedanken uns für Ihr Interesse an der Gesellschaft gegen Gewichtsdiskriminierung. Gerne kommen wir Ihrem Wunsch nach, den Flyer Ihres Angebots “XXL – aktiv sein und Stärke zeigen” auf Gewichtsdiskriminierung hin zu prüfen.
Unabhängig vom Grad ihrer Qualifikation haben dicke Menschen besondere Hürden zu nehmen, wenn es um den Einstieg oder Wiedereinstieg ins Berufsleben geht – häufig auf Grund von Gewichtsdiskriminierung. Dies belegt unter anderem eine Studie der Universität Tübingen aus dem Jahr 2013, in der 127 geschulte Personalentscheider auf mögliche Vorurteile in Bezug auf diese Personengruppe hin befragt wurden. Das Ergebnis der Studie belegt klar, dass Menschen mit höherem Gewicht um ein Vielfaches seltener für qualifizierte Tätigkeiten und leitende Positionen in Betracht gezogen werden.
Vor diesem Hintergrund begrüßen wir natürlich, dass Sie mit Ihrem Angebot “XXL – aktiv sein und Stärke zeigen” die Chancen für den Wiedereinstieg ins Berufsleben verbessern wollen. Aus verschiedenen Gründen, die wir Ihnen im Folgenden gerne erläutern möchten, betrachten wir Ihr Angebot in der aktuellen Form allerdings als ungeeignet und teilweise sogar als stark diskriminierend.
I. Stichwort: Reduktion des Gewichtes
Ihr Angebot richtet sich ausdrücklich und ausschließlich an TeilnehmerInnen, die “motiviert sind, ihr Gewicht zu reduzieren”. Das stellt für uns eine klare Form der Gewichtsdiskriminierung dar, weil TeilnehmerInnen ausgeschlossen werden, die nicht bereit sind, sich in das Körperbild zu fügen, das der Arbeitsmarkt auf der Basis von Vorurteilen und Vorlieben diktiert.
Sie bezeichnen die Gewichtsreduktion als “Gesundheitsorientierung”. Die Gleichsetzung von “dick” und “ungesund” bzw. die Unterstellung eines ungesunden Lebensstils ist ein gängiges Vorurteil, dem dicke Menschen immer wieder begegnen und das sich im von Ihnen gewählten Bild der Waage mit zwei Äpfeln und einer Orange wiederfindet. Mittlerweile gibt es zahlreiche Studien, die dieses Klischee widerlegen.Darüber hinaus wirkt das typische Bild von der nach der Diät zu großen Hose wenig seriös, da Bilder dieser Form für sämtliche Produkte von Diätshakes über zweifelhafte Schlankheitspillen bis hin zu teuren Lifestyle-Programmen werbend eingesetzt werden.
Ob ein dicker Mensch gesund ist oder nicht, sollte unserer Meinung nach an seinen Laborwerten und seiner Leistungsfähigkeit gemessen werden. Die Normalisierung auffälliger Laborwerte ist, wie die Ernährungswissenschaftlerin Linda Bacon mit ihrem Ansatz “Health at every size” klar belegen konnte, nicht an die Gewichtsreduktion gekoppelt.
II. Stichwort: Nachhaltigkeit
In Ihrem Flyer geben Sie als eines Ihrer Ziele die nachhaltige Reduktion des Körpergewichts an. Die Reduktion eines hohen Gewichtes und / oder das Halten des Gewichtes stellt für dicke Menschen je nach Ursache eine lebenslange Aufgabe dar. Eine entsprechende Begleitung der TeilnehmerInnen ist jedoch nicht vorgesehen. Daher wird das von Ihnen beabsichtigte Ziel mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht erreicht werden können.
Dies bestätigt u.a. Helmut Heseker, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE): “Wir wissen, dass 80 bis 90 Prozent aller Gewichtsreduktionsprogramme keinen Erfolg bringen – oft sind die Teilnehmer am Ende sogar schwerer als vorher.”
Wenn sich Ihr Angebot (auch) an dicke Menschen mit geringem Selbstwertgefühl richtet, ist gerade für diese TeilnehmerInnen das Gefühl besonders wichtig, dass der Wert eines Menschen nicht von seinem Körpergewicht abhängt. Sie brauchen für den Neustart Verbündete und einen sicheren Ort, an dem Gewichtsdiskriminierung keinen Platz hat. Diese Startbedingungen sind eindeutig nicht gegeben, wenn den TeilnehmerInnen vermittelt wird, dass sie für einen Arbeitsplatz auch den gewichtsbezogenen Wünschen entsprechen und an sich arbeiten müssen. Auf den Punkt gebracht bedeutet das: Die diskriminierten Individuen sollen sich so stark anpassen, dass sie nicht mehr in die diskriminierte Gruppe fallen. Das entspräche in etwa Opfern die Strafe für die Täter aufzuerlegen. Eine nachhaltige und positive gesellschaftliche Veränderung ist hierdurch sicherlich nicht zu erwarten.
III. Stichwort: Kooperationspartner
Mit der Schön Klinik Hamburg Eilbek haben Sie einen Partner an der Seite, der bariatrische Operationen wie die des Magenbypasses oder die Legung eines Magenbandes durchführt. Viele Patienten berichten uns gegenüber von massiven postoperativen Beeinträchtigungen ihrer Gesundheit, die von Lebensmittelunverträglichkeiten über sekundäre Wundheilungsprozesse bis hin zu Zuständen vergleichbar mit den Symptomen einer dementiellen Erkrankung aufgrund von nicht erkanntem Vitamin B Mangel im Rahmen des Gewichtssturzes reichen.
Gerade der Magenbypass stellt einen massiven Eingriff dar und bindet die Patienten an eine lebenslange Medikamenteneinnahme, da die umgangenen Verdauungsstationen teilweise unverzichtbare Aufgaben erfüllen, die sie aufgrund des Eingriffs nicht mehr wahrnehmen können. Dies als Herstellung von Gesundheit zu betrachten und zu vermarkten ist aus unserer Sicht ein Skandal, vor allem da die Krankenhäuser selbst darauf hinweisen, dass die “Diät-Karriere” der Patienten damit nicht abgeschlossen ist:
“Damit Ihr Gewichtsverlust nach einer Adipositas-Operation in einem gesunden Maß, kontinuierlich und stabil verläuft, ist Ihre aktive Mitarbeit gefragt. In unserem ambulant durchgeführten Ernährungsprogramm helfen Ihnen erfahrene Ökotrophologinnen, Ihre Ernährung umzustellen und eingeschliffene Verhaltensmuster zu ändern.”
Quelle: http://www.schoen-kliniken.de/ptp/kkh/eil/organe/adipositas/
Wir hoffen sehr, dass Sie unsere Kritik als Hilfestellung verstehen, um dicken Menschen ein Angebot zu machen, das auf Akzeptanz beruht und ihnen wirklich nützt, denn noch eine weitere Institution, die ihnen sagt, dass sie nicht in Ordnung sind und sich ändern müssen, benötigen dicke Menschen definitiv nicht.
Wir werden diesen Brief auf unserer Website zugänglich machen. Bitte teilen Sie uns in Ihrer Antwort mit, ob wir diese ebenfalls veröffentlichen dürfen.
UPDATE: Lesen Sie hier die Antwort der Grone Schule vom 21.08.2014.
UPDATE: Lesen Sie im Folgenden unsere Antwort auf das Schreiben der Grone Schule.
Sehr geehrte Herr Adler,
herzlichen Dank für Ihre ausführliche Antwort vom 21.8.2014 auf unser Schreiben vom 9.7.2014.
Die Bezeichnung “Protestbrief” wurde von uns bewusst gewählt, denn die Bereitschaft zur Gewichtsreduktion als Voraussetzung für eine Qualifizierung stellt unserer Meinung nach eine massiven Eingriff in die Privatsphäre dar und widerspricht Ihrer Aussage, dass “der sensible Umgang mit (Gewichts-) Diskriminierung” Ihnen ein großes Anliegen ist. Anlass unseres Schreibens war eine bei uns eingegangene Beschwerde einer Personen, die sich durch das Angebot diskriminiert gefühlt hat.
Auf die entscheidende Frage, warum die Gewichtsreduktion nicht optionaler Baustein sondern zwingende Voraussetzung und fester Bestandteil des Angebots ist, gibt Ihr Schreiben bedauerlicherweise keine Antwort. Es wird nur an vielen Stellen auf gesundheitliche Aspekte verwiesen. Da es nicht zwingend erforderlich ist, schlank zu werden, um eine gesunder, leistungsfähiger und glücklicher Mensch zu sein, können wir hierin kein Argument entdecken.
Dass es genug dicke Menschen gibt, die ihr Gewicht reduzieren möchten, stellen wir nicht in Frage, schließlich ist die Stigmatisierung von hohem Gewicht soweit vorangeschritten, dass dicke Menschen körperliche Verstümmelungen (bariatrische Chirurgie) mit lebenslangen Nebenwirkungen in Betracht ziehen, um diesem omnipräsenten gesellschaftlichen Druck – Beispiele für die Benachteiligung dicker Menschen haben Sie bereits selbst ausreichend benannt – zu entkommen.
Vor diesem Hintergrund betrachten wir es als höchst problematisch, dass Ihr “kontinuierliches ärztliches Beratungsangebot […] auf Wunsch eine individuelle und differenzierte teilnehmendenzentrierte Abwägung der Vor- und Nachteile bariatrischer Operationen” beinhaltet.
- Die TeilnehmerInnen befinden sich zum Zeitpunkt der Beratung durch die Schön Klinik – ob aus Neugier wahrgenommen oder aus tatsächlichem Interesse – in einem Kurs, der Ihnen regelmäßig die Nachteile eines hohen Gewichts in Bezug auf den Arbeitsmarkt und die gesellschaftliche Wahrnehmung vor Augen führt.
- Der Träger der Maßnahme, in diesem Fall die Grone Schule, steht einem solchen Eingriff anzunehmender Weise offen oder sogar positiv gegenüber, schließlich berät die Schön Klinik die TeilnehmerInnen auf Basis der bestehenden Kooperation mit der Grone Schule.
- Die Schön Klinik postuliert den Nutzen der bariatrischen Chirurgie. Mit dem Wissen im Hinterkopf, dass es inzwischen Usus ist, Ärzten Boni auf Basis der Anzahl der durchgeführten Operationen in Aussicht zu stellen und dass auf den chirurgischen Kliniken ein hoher wirtschaftlicher Druck lastet, kann hier ein finanzielles Interesse zumindest nicht ausgeschlossen werden.
- Das Angebot ist förderfähig, was Qualität und Seriosität des Angebots in den Augen der TeilnehmerInnen unterstreichen könnte, so dass den Informationen allgemein ein anderes Gewicht zukommt.
Nimmt man all das zusammen, entsteht eine Stimmungsgefüge, das die Entscheidung zu Gunsten eines solchen Eingriffs stark begünstigt. Sie sind damit aus unserer Sicht – gewollt oder ungewollt – Werbeträger für die Schön Klinik.
Abschließend möchten wir darauf hinweisen, dass wir an Ihrem Angebot in unserem ersten Brief an Sie folgende Punkte kritisiert haben:
- Das Angebot kann nur von Personen wahrgenommen werden, die “motiviert sind, ihr Gewicht zu reduzieren”.
- Die Nachhaltigkeit der Gewichtsreduktion ist unserer Meinung nach nicht sichergestellt, weil die Reduktion eines hohen Gewichtes und / oder das Halten des Gewichtes für dicke Menschen je nach Ursache eine lebenslange Aufgabe darstellt.
- Eine Klinik mit Abteilung für die bariatrische Chirurgie ist Kooperationspartner.
Diese Fakten gehen aus dem Flyer hervor, waren für uns auf der Website nachprüfbar und wurden von Ihnen im uns vorliegenden Schreiben erneut bestätigt. Für uns ist nicht ersichtlich, inwiefern eine “nähere Kenntnis des Angebots” diese Fakten beeinflussen sollte.