"Übergewicht ist das neue Normal!"

“Übergewicht ist das neue Normal” meldet die Süddeutsche Zeitung in einem Artikel über Bestrebungen eine Zuckersteuer in Großbritannien einzuführen. Zwei Drittel der Briten seien zu dick und sogar ein Drittel der Kinder unter fünfzehn Jahren sei schwerer als die Gesundheitspolizei erlaubt. Jetzt soll eine Zuckersteuer die nahende “Katastrophe”  verhindern.
Zwei Drittel der Erwachsenen und ein Drittel der Kinder “übergewichtig”: Das sind Größenordnungen, die so, oder so ähnlich für jedes hochentwickelte Land der westlichen Hemissphäre sowie für immer mehr Schwellenländer berichtet werden und die den Mythos von der “Adipositas-Epidemie” untermauern sollen. Übergewicht bezeichnet bei Erwachsenen den BMI-Bereich 25-30, häufig wird unter dem Begriff Übergewicht auch Adipositas subsumiert, die bei BMI-Werten größer 30 beginnt. Bei Kindern hingegen sind die Kategorien “Übergewicht” und “Adipositas”  rein statistische Größen. Bekanntermaßen hat der BMI aber auch bei Erwachsenen nur begrenzte Aussagekraft über den Körperfettanteil einer Person und er hat erst Recht keine Aussagekraft über die aus medizinischer Sicht besonders wichtige Fettverteilung. Ebenfalls schon länger bekannt ist, dass statistisch gesehen Menschen mit einem BMI im “Übergewichtsbereich” die höchste Lebenserwartung haben, also durchschnittlich länger leben als Menschen mit einem BMI im Normalgewichtsbereich (BMI 18,5-25). Selbst die moderate Adipositas (BMI 30-35) wirkt sich nicht signifikant auf die Sterblichkeit aus. Das Gros der “Adipösen” hat demnach eine vergleichbare Sterblichkeit wie “Normalgewichtige”. Männer mit einem BMI größer 35 bzw.  Frauen mit einem BMI größer 40 haben eine geringfügig erhöhte Sterblichkeit gegenüber Normalgewichtigen. Doch selbst bei Menschen mit einem BMI größer 40, die auch als “morbid adipös” bezeichnet werden, ist die Lebenserwartung statistisch gesehen keinesfalls so niedrig, wie das in der öffentlichen Debatte gerne nahegelegt wird. Anders gesagt: die Differenz in der Lebenserwartung zwischen Menschen mit einem BMI größer 40 und Menschen mit “Normalgewicht” ist nicht größer als der Unterschied in der Lebenserwartung zwischen Frauen und Männern oder der zwischen Geringerverdienern und Besserverdienern.
Die Tatsache, dass eine hohe Anzahl von Menschen einen willkürlich gesetzten und medizinisch völlig irrelevanten Grenzwert überschreiten, wird von medizinsichen Autoritäten als fatale Entwicklung beschrieben. Besonders schlimm finden z.B. die oberste medizinische Beraterin der Britischen Regierung, Sally Davies, dass die britischen Eltern häufig gar nicht “wüssten”, dass sie selbst bzw. ihre Kinder zu dick seien.
Weil “Aufklärung” allein nicht mehr ausreiche, müsse jetzt eine “Zuckersteuer” her.  Als Vorbilder für eine solche Steuer werden Dänemark und Ungarn sowie Mexiko und Frankreich genannt. Tatsache ist, Dänemark hat die für 2014 anvisierte Einführung einer Zuckersteuer auf unbestimmte Zeit verschoben hat. Eine in Dänemark bereits Ende 2012 eingeführte “Fettsteuer” wurde nur ein Jahr später ersatzlos gestrichen. Begründet wurde dies mit dem hohen bürokratischen Aufwand, den steigenden Lebenshaltungskosten für Geringverdiener und den zunehmenden Hamsterfahrten in den Grenzregionen. Ungarns sogenannte “Chips-Steuer” ist vor allem eine Steuer auf Importwaren, während nationales Kulturgut wie die fettigen ungarischen Wurstspezialitäten unter fadenscheinigen Argumenten von der Steuer ausgenommen werden. Frankreich kennt keine Zuckersteuer. Hier gibt es seit 2012 eine sogenannte “Cola-Steuer”. Gezuckerte Getränke werden nicht länger mit dem verringerten Mehrwertsteuersatz für Lebensmittel besteuert, sondern mit dem vollen Mehrwertsteuersatz. Das ist nicht anders als in Deutschland, wo, von Milch und Tafelwasser einmal abgesehen, grundsätzlich auf alle Getränke  der volle Mehrwertsteuersatz zu entrichten ist.  Mexiko hat eine Steuer auf kaloriendichte Nahrung einführen, die nicht allein gezuckerte Getränke und Lebensmittel betrifft. In den USA haben sich in lokalen Referenden die Bevölkerungsmehrheit wiederholt gegen Sodasteuern ausgesprochen.
Dass nun ausgerechnet die besonders wirtschaftsnahe konservative britische Regierung einer Zuckersteuer nicht mehr grundsätzlich ablehnend gegenübersteht, zeigt vor allein eins: nämlich dass die Folgen der Finanzkrise mit Sozialkürzungen allein wohl nicht zu kompensieren sind.