Eine Frau bewirbt sich für die Geschäftsführung des “Borreliose und FSME Bund Deutschland”. Das Gespräch läuft gut. An der fachlichen Kompetenz der Bewerberin scheint niemand zu zweifeln. Doch dann wird ihr per e-mail mitgeteilt, dass sie “im jetzigen Zustand so natürlich kein vorzeigbares Beispiel” sei. Der Grund: ihr “enormes Übergewicht”, das einer “figurmäßigen Entgleisung” gleichkäme und daher den “Ernährungs- und Sportempfehlungen” des Vereins zuwider laufe. Ein angebotenes “Gespräch über ihr Gewicht” lehnt die Bewerberin dankend ab. Stattdessen klagt sie vor Gericht auf Grundlage des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes AGG (umgangsprachlich auch als Antidiskriminierungsgesetz bekannt) auf Entschädigung. Den ersten Prozess am Arbeitsgericht Darmstadt hat sie jetzt verloren. Doch sie hat angekündigt, in Berufung zu gehen.
Dass schlechte Ernährung und Bewegungsmangel in der Öffentlichkeit pauschal zur Ursache eines hohen Körpergewichts erklärt werden, obwohl eine Vielzahl an Forschungsergebnissen diese Gleichsetzung in Frage stellen, ist eine bedauerliche Tatsache. Dass ein hohes Körpergewicht ein Risikofaktor für Zeckenbisse sein soll, dürfte den meisten dagegen neu sein. Warum eine Geschäftsführerin mit Kleidergröße 42 für den “Borreliose und FSME Bund Deutschland” untragbar sei, erklärt sich dann auch wohl am ehesten aus dem speziellen Verhältnis der Vizevorsitzenden des Vereins zu dicken Körpern. Sie habe ja nur ein Gespräch von einer ehemals dicken Frau zu einer anderen dicken Frau führen wollen, erklärt sie. Man darf wohl davon ausgehen, dass die ehemals dicke Frau der noch immer dicken Frau erklären wollte, wie man erfolgreich abnehmen kann, wenn man es nur wirklich will.
Das Besondere an diesem Fall ist, dass die Gewichtsdiskriminierung durch die E-Mails so gut dokumentiert ist. Trotzdem wurde die Klage durch das Amtsgericht Darmstadt jetzt abgelehnt. Zum einen sei der beklagte Verein nicht so solvent und professionell aufgestellt wie ein Großkonzern und könne daher die geforderte Entschädigung nicht bezahlen; zum anderen sei gar nicht klar gewesen, ob die Bewerberin wirklich wegen ihres Gewichts abgelehnt wurde. Die Richterin sprach von einem “Motivbündel”. Schließlich sei sie die Klägerin ja auch gar nicht wirklich dick: jedenfalls nicht so dick, dass sie als behindert gelten könne. Tatsächlich ist ein hohes Körpergewicht als Grund für Diskriminierung im AGG nicht vorgesehen. Erst wenn das Körpergewicht so hoch ist, dass Menschen im Alltag beeinträchtigt sind, können sie vor Gericht gegen ihre Diskriminierung aufgrund einer Behinderung Klage erheben. Setzt sich diese Auslegung durch, dann wird es für dicke Menschen zukünftig sehr schwer selbst gegen offensichtliche Diskriminierungen gerichtlich vorzugehen. Umso wichtiger, dass sich die abgelehnte Bewerberin zur Revision entschlossen hat.
Der Fall zeigt aber vor allem, dass Gewichtsdiskriminierung neben der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, der Religion oder der Weltanschauung, der ethnischen Herkunft oder der “Rassenzugehörigkeit”, der sexuellen Identität, des Alters und der Behinderung endlich Teil des AGG werden muss.