Von 1990 bis 2014 ist die Zahl dicker Kinder unter 5 Jahren weltweit von 31 auf 41 Millionen gestiegen, berichtete die Weltgesundheitsorganisation WHO in einem aktuellen Report mit dem Titel “Ending Childhood Obesity“. Besonders problematisch sei die Entwicklung in Afrika, dort habe sich die Zahl dicker Kleinkinder seit 1990 von 5.4 auf 10.3 Millionen fast verdoppelt. Kommende Gesundheitskatastrophe oder Fehlalarm?
Immer mehr dicke Kinder und betroffen sind mittlerweile auch Schwellen- und Entwicklungsländer: So weit so vertraut. Ungewöhnlich ist allerdings, dass die WHO mit absoluten Zahlen und nicht mit Prozentzahlen argumentiert. Tatsächlich nämlich hat die Zahl dicker Kinder prozentual gar nicht zugenommen. Der globale Anstieg um 32 Prozent zwischen 1990 und 2014 ist geringer als der Anstieg der Weltbevölkerung um 38 Prozent im selben Zeitraum. Auch wenn berücksichtig wird, dass die Zahl der Kinder unter fünf Jahren nicht so stark angestiegen ist wie die Weltbevölkerung insgesamt ergibt sich allenfalls ein minimaler prozentualer Anstieg der Kinder, die nach Maßgabe der WHO als zu dick gelten.
In Afrika hat sich die Bevölkerung im untersuchten Zeitraum mehr als verdoppelt. Ein Anstieg um 92 Prozent der afrikanischen Kinder, die, wenn es nach der WHO geht, als zu dick gelten, lässt auf eine Stagnation oder sogar einen leichten Rückgang des prozentualen Anteils “dicker Kinder” im Untersuchungszeitraum schließen. Zumal die Fertilitätsraten in den meisten afrikanischen Ländern nur geringfügig gesunken sind.
Tatsächlich leiden viele afrikanische Staaten bis heute unter einer hohen Kindersterblichkeit. In manchen afrikanischen Ländern erlebt eines von sechs Kindern seinen fünften Geburtstag nicht. In der Hälfte der Fälle schätzt UNICEF ist Mangelernährung dafür direkt oder indirekt verantwortlich. Der “Risikofaktor Übergewicht” wird hingegen in den Analysen von UNICEF nicht erwähnt.
Als “zu dick” gelten Kinder, deren Gewicht mehr als drei Standardabweichungen vom Median des globalen WHO-Index nach oben abweichen. Warum das gesundheitsschädlich sein soll und warum drei und nicht fünf, sieben oder zwei Standardabweichungen ausgewählt wurden, erklärt der WHO-Report nicht. Auch liefert er keine Tabellen mit entsprechenden BMI-Werten, mit denen sich die Grenzwerte für die kindliche “Adipositas” mit anderen gebräulichen Indizes, etwa dem deutschen von Kromeyer-Hauschild, vergleichen ließen.
Dem Fehlalarm folgen die altbekannten Reformvorschläge: Steuern und Warnhinweise auf “ungesundes” Essen und Trinken, mehr Sportunterricht für Kinder, Stilldauer verlängern, Anteil stillender Mütter erhöhen, strenge Überwachung der Gewichtszunahme während der Schwangerschaft, Ernährungsberatung für werdende Mütter und Väter, Ernährungsunterricht an Schulen, die kostenlose Bereitstellung medizinischer Lösungen zur Gewichtskontrolle bzw. Gewichtsreduktion auch schon für kleine Kinder durch das Gesundheitssystem usw.
Nichts davon ist neu, vieles für die psychische Entwicklung kleiner Kinder (und werdender Eltern) fatal. Einige Punkte, wie etwa die qualitative Verbesserung der Schulverpflegung oder mehr Bewegungsmöglichkeiten für kleine Kinder zu schaffen, wären nachdenkenswert, wenn sie denn endlich nicht mehr unter dem Paradigma der Bekämpfung einer angeblichen “Adipositas-Epidemie” propagiert würden.